Die erste Puppe,
die Helmut Schmidt gebaut hat, war ebenfalls die Figur, die schon unzählige
Buben-herzen in ihren Bann gezogen hat. 1984 war's, nach einer Anleitung
für jedermann, geschenkt von seiner Frau. Mit Hotzenplotz ist Schmidt
aber nicht aufgetreten, er war sozusagen ein Prototyp. Das Vorspielen
kam erst vier Jahre später, zunächst im Verwandtenkreis und
mit einer Tuchmarionette. Die Kulissen kamen dazu, der anwachsende Zeit-
und Platzaufwand, kurzum: Der Mann wanderte in den Keller hinab.Beim
Bau der Puppen ist für Schmidt wichtig, dass mit ihnen anatomisch
gespielt werden kann, dass jeder mit ihnen arbeiten kann. Natürlich
hat Schmidt alle Figuren in der eigenen Werkstatt gefertigt. "Eine
Marionette darf nur das können, was sie auch ausdrücken soll",
erklärt der 50-Jährige und beruft sich dabei auf Kleist, "der
Spieler selbst fungiert dabei wie ein wandelndes Stativ. "Was aber
nicht heißt, dass Marionettenbau eine einfache Sache wäre:
"Um einen gewissen Ausdruck zu erzeugen, braucht es Zeit, das geht
nicht mit Gewalt." Für das Herstellen einer Szene veranschlagt
Schmidt ein halbes bis ganzes Jahr. Er ist sozusagen Intendant eines
Mehrspartenhauses, lässt nicht nur Mari-onetten auftreten, sondern
auch Handpuppen und so genannte Tischlauffiguren. Letztere um Märchen
nachzuspielen oder biblische Geschichten. Diese Figuren eigenen sich
aber auch, um mit Kindern Probleme ihres Verhaltens im Straßenverkehr
zu erläutern. Natürlich sind die Marionetten für Schmidt
etwas ganz Besonderes, jede einzelne weit mehr als nur ein Spielutensil.
"Es hat deshalb ja auch so lange gedauert, bis ich mir das zugetraut
habe. " Mittlerweile hat er unter anderem den Conferencier Alfred
im Repertoire, Zoran, den akrobatisehen Gummimenschen, den Geiger Lorenzo
Popolino. Den Liebhaber hat Schmidt "unterlegt" mit Julio-
Iglesias-Klängen oder der Arie des Don Giovanni aus dem "Barbier
von Sevilla". Hildegard Knef gehört auch zu den von Schmidt
bevorzugten Interpreten. "Emotionalität ist ganz wichtig beim
Puppenspiel. Der Zuschauer projiziert in die Figur seine eigene Fantasie.
" Schmidt Lieblingsfigur ist der traurige Pierrot. Auch eine makaber
anmutende Skelett-Puppe hat eine besondere Bedeutung. "Die eignet
sich speziell für den trockenen, skurrilen, britischen Humor. "Für
den Puppenspieler sind Klänge nicht nur Begleitung. Seine Antwort
auf die Frage, woher er denn seine Geschichten hat: "Das geht meist
vom Musikerlebnis aus." Natürlich fallen bei der Frage nach
seinen Vorbildern auch die Namen Rosen und Bross. Schmidt spricht aber
lieber von Lehrmeistern, Lernen durchs genaue Hingucken bei Vorführungen.
"Eine Marionette ist ja immer etwas Einmaliges. Wenn man die anschaut,
muss man wissen, woran man bei ihr ist. Sie ist ein Instrument, das
ich als Spieler stimmen muss. Das Stück wird aus den Figuren selbst
herausentwickelt. "Schmidt hat einst Maschinenschlosser gelernt,
hat dann als Jugend- und Heimerzieher gearbeitet. Er hat die erste Jungen-WG
der Stadt Stuttgart mitaufgebaut. Das Studium der Sozialpädagogik
schloss sich an. Seit 22 Jahren unterrichtet er an derFachschule für
Sozialpädagogik des Caritas Verbandes in Stuttgart, ist dort Dozent
für Recht und Verwaltung, aber eben auch für Spielpädagogik,
eine auch für ihn sinnvolle Kombination. "Das andere ist ja
doch etwas trocken und bei den Schülern deshalb auch nicht allzu
beliebt." Puppenspiel ist Teil des Lehrplans für die Erzieherinnen,
Figurenbau hat aus Schmidts Sicht eindeutig eine therapeutische beziehungsweise
heilpädagogische Wirkung. Er hat sich auch mit der Theorie des
Puppenspiels beschäftigt: "In den Lehrbüchern dazu stand
eben auch viel Käse." Er hat zum Beispiel eine Psychogramm-Studie
der berühmten Hohensteiner Figuren verfasst. Den Sinn seines eigenen
Puppenspiels formuliert Schmidt so: "Den Leuten helfen zu entdecken,
was in ihnen selbst drin ist." Leider ist in den Leuten aber zunehmend
mehr drin, was dem Puppenspieler nicht gefällt. "Heutzutage
wird, siehe Fernsehen, nicht mehr das Gute belohnt. Erfolgreich ist
der, der egoistisch handelt." Früher gab es die Reihe "Der
7. Sinn", heute den Werbespot vom "MediaMarkt" mit der
Parole "Geiz ist geil". Schmidt schlägt dem Multi vor,
statt dessen mit "Teilen macht Spaß" zu werben. Vor
20 Jahren ist Schmidt von Stuttgart nach Reichenbach gezogen, war in
Berglen von 89 bis 94 Gemeinderat. Seit Jahren ist er "Bestandteil"
des Berglener Ferienprogramms, spielt mit dem Winnender Freundeskreis
für Behinderte im Jakobus-Haus in Schwaikheim. Schmidts Figurenkabinett
ist begehrt. Schmidt vermisst die Kultur allgemein beim Winnender City-Treff,
wo er früher auch aufgetreten ist. "Das muss ja nicht unbedingt
ich sein. Aber ich weiß nicht, ob man sich damit einen Gefallen
getan hat, als man das zurückgefahren hat. "Da sein Puppenspiel
aber nur Nebenberuf ist und bleibt, muss der Impressario auch oft Absagen
erteilen. Und er behält sich vor, wählerisch zu sein: "Ich
gehe nur noch dorthin, wo ich mit der Energie meiner Figuren landen
kann. " Die Energie kann aber auch eine explosive Mischung ergeben.
Gerade bei seinem Kasper-Theater ist das Böse ja auch immer da,
für die Erwachsenen schaut es nur aus wie ein Störfaktor in
einem an sich funktionierenden System. Für Kinder kann sich dagegen
ein regelrechtes Psychodrama entwickeln. "Was die da erleben, ist
für sie wirklich hammerhart." Und das müsse auch so sein:
"Kaspertheater ist Anwendungstheater, ich mache keine bloße
Kinderbetreuung." Demnächst wieder zu sehen ist Schmidt beim
Ludwigsburger Weihnachtsmarkt, am 30. November, um 17 und um 19 Uhr.
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